Versuch einer Antwort von Dr. Elisabeth Umkehrer
Dass Autofahren Mensch und Umwelt schadet, bezweifelt kaum jemand. Die Meinungen gehen jedoch weit auseinander, was die Notwendigkeit des Autofahrens betrifft. Oft heißt es, ich kann nicht anders, ich „muss“ Autofahren, als gäbe es überhaupt keine Wahl. Diese absolute Zwangsläufigkeit ist jedoch keineswegs gegeben. Es sind immer noch meine ganz persönlichen Entscheidungen, die mein Leben so sehr mit dem Auto verweben, dass es kaum noch herauszulösen ist. Allerdings – und hier wird oftmals zu wenig differenziert – sind zum einen die Chancen auf ein gutes Leben sehr ungleich verteilt. Zum anderen gibt es auch Werte jenseits der bloßen Vermeidung von Schaden an Mensch und Umwelt. Welche Möglichkeiten mir das Leben bietet und welche Werte mich leiten, das kann nur jeder für sich selbst wissen. Es verbietet sich also, sich über andere zu erheben und ihnen das Auto vorzuwerfen. Und dennoch kann nicht von „Autofahren müssen“ geredet werden. Es sind Abwägungen, die ich treffe. Werte werden einander gegenübergestellt, und unter Umständen entscheide ich mich für das Autofahren.
Aber diese Entscheidung habe ich zu verantworten. Ich kann mich nicht auf einen Zwang herausreden, sondern es sind andere Werte, die ich höher stelle. Unglücklicherweise ist dieser Abwägungsprozess zwischen Werten, der ansonsten beim Menschen meist gut funktioniert, in Bezug auf das Auto extrem gestört. Wie kann etwas, das so normal, so üblich ist, solch einen Schaden bringen? Und was macht schon mein kleiner Beitrag aus angesichts der Millionen Autofahrer? Dass die Millionen Autofahrer auch nur lauter Einzelne sind, die jeder für sich die Verantwortung für ihr Handeln tragen, wird ausgeblendet. Die Normalität des Autofahrens verhindert, dass mir das Ausmaß der schädlichen Folgen meines Verhaltens bewusst wird. Dass Autofahren allgegenwärtig ist, verleiht ihm eine Harmlosigkeit, die bei genauerer Betrachtung nicht gegeben ist.
Und an dieser Stelle wird es nun schwierig. Mal wird aus dem Unverständnis heraus, dass so leichtfertig Auto gefahren wird, Einzelnen mit erhobenem Zeigefinger begegnet. Mal wird aus Sicht einer autogerechten Welt dem Einzelnen die Verantwortung für sein Handeln abgenommen. Beides nimmt zu wenig Rücksicht auf eine Errungenschaft, die wir nicht allzu leichtfertig opfern sollten: die Freiheit des Einzelnen – eine Freiheit, die weit über das vermeintliche Recht auf freie Fahrt hinausgeht. Die Kehrseite der Freiheit ist allerdings die Verantwortung. Was ich frei entscheide, kann nur ich verantworten.
Wie kann es nun gelingen, den einlullenden Schleier der Normalität, der sich so schwer über das Autofahren legt, etwas zu heben. Zum einen ist natürlich die Politik gefragt. Zu wünschen wäre eine Politik, die sich nicht nur die Förderung einer nachhaltigen Mobilität auf ihre Fahnen schreibt, sondern ganz explizit das autofreie Leben fördert und dies auch so benennt. Für die Kommunalpolitik würde das bedeuten, dass Maßnahmen zur nachhaltigen Mobilität auf die Möglichkeit eines autofreien Lebens in Stadt und Umland hin priorisiert werden.
Aber auch der Einzelne ist gefragt. Dass jemand, dem nachhaltige Mobilität sehr wichtig ist, leichtfertige Autofahrten unterlässt, versteht sich von selbst. Nicht so sehr im Fokus steht allerdings die Entscheidung, kein Auto zu besitzen. Wenn es die Normalität des Autofahrens ist, die einer angemessenen Abwägung von Werten entgegensteht, dann macht es einen großen Unterschied, ob ich nur wenig Auto fahre, aber ein Auto zu Hause stehen habe, oder ob ich überhaupt kein Auto besitze. Nur letzteres ergibt einen wirklichen Bruch zum Üblichen und stellt die Normalität des Autofahrens in Frage. Doch auch hier ist der moralische Zeigefinger unangebracht. Auch diese Entscheidung muss jeder mit Blick auf seine Werte und im Rahmen seiner Möglichkeiten für sich selber treffen. Aber es kann aufgezeigt werden, dass es keine unerhebliche Entscheidung ist. Kein Auto besitzen gegenüber nur einfach weniger Auto fahren, macht einen großen Unterschied. Jeder, der kein Auto besitzt, nimmt dem Auto etwas von seiner Normalität und gibt seinem Umfeld ein Stück weit mehr die Sicht frei auf das, was Autofahren tatsächlich bedeutet, nämlich die – unter Umständen gegen andere Werte abgewogene – freie Entscheidung von Menschen für eine Mobilität, die ein gutes Leben für andere schwer beeinträchtigt und für zukünftige Generationen unter Umständen sogar unmöglich macht.
Kein Auto besitzen, heißt, sich gegen den Teufelskreis zu stemmen, dessen Dynamik Menschen zum Autofahren auffordert und damit eine Welt schaffen lässt, in der die Möglichkeiten auf ein gutes Leben ohne Auto eingeschränkt sind. Und es heißt, Politikern die Entscheidung zu erleichtern, nachhaltige Mobilität zu fördern anstatt weiter Parkplätze und Straßen zu bauen. Und es kann auch heißen, mit seinem Geld anstatt eine CO2-lastige Industrie zu füttern, den öffentlichen Verkehr und nachhaltigere Wirtschaftskreisläufe wachsen zu lassen.